Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 28.05.1954

Mensch und Gott

Der Städtische Chor mit Bruckners Großer Messe in f

Es gibt nicht viele große Musiker, bei denen sich Kunst und Fröm­migkeit so unauflöslich miteinander verbinden wie bei Anton Bruckner. Auch seinen Instrumentalwerken ist immer ein geistiges, „frommes“ Zentrum zu eigen. Selbst die rauhe, polternde Lustigkeit seiner Scherzi scheint in Tanz und Gehobenheit noch aus weitem kosmi­schem Bezirk zu kommen und wieder in ein All zurückzuführen. Bruck­ners Messen gar sind gebundene Bekenntnisse, klingende Brücken von Mensch zu Gott.

Besonders die Große Messe in f-moll darf diesen Titel für sich bean­spruchen. Zeitlich zwischen erster und zweiter Sinfonie eingebettet, stellt sie schon viel mehr den vollen Eigenklang des ringenden Mei­sters dar als diese Orchesterwerke. Sie beteiligt die Instrumente zwar wesentlich mit an der Gestaltung — die Liebe für den gerunde­ten Hornklang, für die weiten Tonalitätsflächen steht hüben und drüben bestimmend im Klangbild —, aber der Chor bleibt immer der erste Träger des Geschehens. Seine Sprache wiederum hat den typisch katholischen Klang des süddeutschen Raumes mit seinen farbigen Alterierungen und den kühnen Modulationswegen, die Mischung aus Ausdruckschromatik und glatter Rückung, die nicht selten aus dem Kirchlichen hinüberzuspielen scheint in die Bezirke persönlicher Leidenschaft.

Die Große Messe stellt an alle Sänger beträchtliche Forderungen. Chor und Solisten wurden ihnen gerecht, nicht immer gleichmäßig, aber doch im ganzen einheitlich und befriedigend. Chordirektor Otto Rüder stellte unter Beweis, was er kann. Besonders die kleinen a-capella-Teile waren vorzüglich studiert. Nur in kurzen Augenblicken kam es intonatorisch zu Schwankungen.

Mit überlegenem Griff ging Georg C. Winkler ans Werk. von den ruhig sich wölbenden Eleison-Bögen am Eingang über die Gloria-Fuge bis zu den still flutenden Klängen des Benedictus, von den getrage­nen piano-Partien bis zu der dröhnenden Anschaulichkeit des Credo holte er viel aus dem Werk Meister Bruckners heraus. Wundervoll friedlich hielt Winkler die schreitende Viertelbewegung des Benedictus durch und glitt als geschickter Taktiker über den offenbar nicht genügend gesicherten letzten Teil des Credo hin.

Die einheimischen Solisten haben außer dem Baß Partien von geringer Dankbarkeit, da Bruckner das einzelne eng mit dem ganzen verflicht und vielfach nur kurze Einwürfe und Ergänzungen für die Solostimme übrig hat.

Melitta Muszely mit schlanker, metallisch timbrierter Sopranstimme und Hilde Büchels charakteristischer Alt sind von Hause aus für thea­tralische Wirkungen angelegt; auch Kurt Wehofschitz denkt in den Akzenten der Bühne. Die am Eingang liegende längere Falsett-Partie wollte nicht recht ansprechen, aber die volle Stimme späterhin ließ klar erkennen, was alles das Organ in sich trägt. Nach Fülle und Wucht dominierte Edmund Hurschells pompös dunkler Baß, ein wah­res Prachtorgan, das mühelos selbst den Chor beiseitezuschieben schien und vielleicht ein wenig der Mäßigung bedurft hätte. — Das Orchester spielte seinen Part sicher, ohne daß immer die letzte Feile angelegt worden wäre. Für ein so anspruchsvolles, im Rahmen der Sinfonie-Konzerte herausgestelltes Werk sollten auch immer mehr als nur eine einzige gemeinsame Probe zur Verfügung stehen! Dr. H. St.

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