Volkszeitung, 06.04.1957
Die Jahreszeiten
Haydns Oratorium im 8. Sinfoniekonzert des VdM
Zur Feier der 225jährigen Wiederkehr des Geburtstages Joseph Haydns (in unserer dem Dezimalsystem huldigenden Zeit gelangen große Werke fast nur an durch zehn oder zumindest fünf teilbaren Jubiläumsdaten aufs Podium) brachte GMD Georg C. Winkler mit dem städtischen Chor und Orchester das zweite der beiden großen Alterswerke des Meisters zur Aufführung.
Haydn selbst hat im Gegensatz zum Publikum die „Jahreszeiten“ nie sehr geliebt. Nur unter dem Druck seines Freundes van Swieten kam es überhaupt zu einer Vollendung des Werkes, an dem Haydn zwei Jahre lang arbeitete, gemessen an seinem sonstigen Arbeitstempo eine erstaunlich lange Zeit. Der Stoff, eine realistisch-idealistische Schilderung des Landlebens im Kreislauf des Jahres, scheint für keinen Komponisten so geeignet wie gerade für Haydn, was ihn jedoch nicht abgehalten hat, sich darüber zu beklagen, daß er so etwas komponieren müsse.
Es würde zu weit führen, hier auf die tieferen Gründe für die Abneigung des Komponisten gegen die Dichtung einzugehen, für den Hörer ist sie letzten Endes von geringer Bedeutung, denn die Musik trägt nicht die geringsten Zeichen der Unlust, die Haydn bei der Arbeit empfunden haben mag.
Die ursprünglich rein betrachtende Dichtung Thompsons hat van Swieten scheinbar dramatisiert, indem er sie dialogmäßig aufteilte in mehrere Chöre und drei Solopartien: den Pächter Simon — in der Kieler Aufführung gesungen von Claus Ocker (Baß), seine Tochter Hanne — Rose Fink (Sopran) — und Lukas, einen jungen Bauern — Walter Geisler (Tenor). Die drei Sänger wurden ihrer Aufgabe durchaus gerecht; Rose Fink verfügt über einen schönen, klaren Sopran und weiß technisches Können mit Natürlichkeit des Ausdrucks zu verbinden. Leider ließ sie sich, offenbar unter dem Eindruck des großen Saals, gelegentlich dazu verleiten, etwas zu forcieren, was vereinzelt Schärfen und Unsauberkeiten zur Folge hatte. Walter Geisler sang den Lukas ebenso tonschön wie musikalisch, wenn er auch mehr auf der Bühne zu Hause sein dürfte, im Gegensatz zu Claus Ocker, dessen schönes Organ für einen Baß zwar ungewöhnlich hell timbriert ist, der aber als einziger die stilistischen Anforderungen des Oratoriums erfüllte: undramatische, fast instrumentale Tonführung, verbunden — in diesem Falle — mit ausgezeichneter Deutlichkeit der Aussprache.
Was die Aussprache anbelangt, so ist auch der Chor (Einstudierung Hans Feldigl) hier zu loben; im Rhythmischen hingegen gab es einige Unsicherheiten. Das Orchester hätte man sich — mit Ausnahme der Flöte und der 1. Oboe, die sehr angenehm auffielen — häufig etwas leichter, durchsichtiger gewünscht. Offenbar in der Scheu, Gefühlsseligkeit aufkommen zu lassen, nahm Winkler manches trockener, als nötig gewesen wäre.
Als Gesamtleistung wirkte die Aufführung jedoch unbedingt überzeugend und — wie der anhaltende Beifall bewies — verdankte sie ihren Erfolg nicht nur der Musik Haydns. HWR
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Siehe auch: R. B.