Kieler Nachrichten, 22.03.1986
Crescendo der Aufführungsqualität
Martin Pickard leitete das letzte Mozart-Konzert dieser Saison in der Wiker Petrus Kirche
Am Ende von Haydns Trompetenkonzert und Mozarts Krönungsmesse gab‘s für die Solisten und den Dirigenten reichlich Blumen und Beifall in der sehr gut besuchten Petrus-Kirche Kiel-Wik. Solche Zustimmung mochte im 5. (und zugleich letzten) Konzert wohl auch rückwirkend für die gesamte Reihe der „Mozart-Konzerte“ des Vereins der Musikfreunde in dieser Saison gegolten haben, die ja durchaus unterschiedliches musikalisches und interpretatorisches Profil gezeigt hatten.
Profiliertes Musizieren war diesmal allerdings nur streckenweise zu verzeichnen, wobei man im Verlauf des Abends sicherlich eine Art qualitatives Crescendo miterlebte. Dirigent Martin Pickard zeigte sich nämlich am uneingeschränktesten in seinem Element, als er abschließend den Städtischen Chor Kiel, dessen ständiger Leiter er ist, zusammen mit dem Philharmonischen Orchester und vier Vokalsolisten der Kieler Oper durch Mozarts sogenannte Krönungsmesse führte (für die sich offenbar partout keine historische Krönung nachweisen läßt).
Dagegen war Mozarts C-Dur-Sinfonie KV 200, die das Programm eröffnete, zwar weitgehend wie am Schnürchen abgelaufen, dabei aber eben auch nur abgeschnurrt. Wohl hatten Pickards energische, manchmal kantige Dirigierbewegungen das musikalische Bewegungskorsett straff geschnürt, den verschiedenen Themencharakteren dabei aber nur wenig Raum zur individuellen Entfaltung gegönnt. Kaum einmal animierte Pickards linke Hand die Violinen in kantablen Partien nachhaltig dazu, melodische Linien aufblühen zu lassen; Triller, Melodien, Passagen — alles lief auf einem Gestaltungs- und Ausdruckslevel ab. Die Figurationen des Andante rollten nahezu etüdenhaft vorüber, ohne daß viel von der geheimen Wärme spürbar wurde, die in dem gedämpften Orchesterklang schlummert, und im Menuett blieb das reizvolle Wechselspiel zwischen den von Mozart so eigenartig isoliert hingestellten Hornphrasen und den weiter ausgreifenden Streichermelodien reichlich neutral, quasi unterbelichtet.
Haydns bekanntes Trompetenkonzert Es-Dur wurde vom vielbeschäftigten jungen Solotrompeter des Orchesters, Thomas Sheibels, musikalisch selbstbewußt, mit sicherem, kaum jemals beeinträchtigtem Ansatz und — vor allem im Finale — mit blankgeputzter Blechblasvirtuosität absolviert. Zumindest in den vorderen Reihen der Petrus-Kirche hatte man dabei den Höreindruck, als bevorzuge Sheibels mehr den direkten als etwa einen elastisch singenden, klanglich gleichsam „swingenden“ Tromppetenton, so daß dem langsamen Satz ein Moment von melodischer Nüchternheit anhaftete. Der orchestrale Anteil war hier, trotz mancher sinfonischer Akzentuierung, verschiedentlich unkonturiert, jedenfalls in Relation zur Trompete, doch zeichnete sich das Finale durch ein gegenseitiges musikalisches Befeuern von Solo und Tutti aus.
In der Mozart-Messe KV 317 war das Orchester (in dem die vom Programmheft annoncierten Posaunen nicht zu entdecken waren) klanglich dann erheblich präsenter. Der Städtische Chor zeigte sich seiner Partie mühelos gewachsen und bezog in sein unverkennbares sängerisches Engagement auch Wortverständlichkeit und rhythmische Genauigkeit ein. Nur hätte Pickard, dem momentan die chorische Arbeit offenbar noch erheblich nähersteht als das Modellieren am Orchesterklang, den fast permanenten Jubelton zwischen Gloria und Sanctus — genauer gesagt: das damit verbundene Forte — insgesamt stärker differenzieren sollen.
Unter den Gesangssolisten hatten Sopranistin Valerie Errante, deren Solo im Agnus Dei sehr schmiegsam, manchmal fast schon zu entsagungsvoll in der Klangentfaltung gelang, und Koichi Maeda mit durchsetzungsfähiger Tenorstimme die umfänglicheren Partien zu bestreiten. Mit ihnen zusammen bildeten Janet Cobb (Alt) und Elmar Oberhomburg (Baß) in den solistischen Ensembleabschnitten einen weithin homogenen Klangkörper. So gewann ein merkwürdig blaß beginnender Abend schließlich doch noch kräftigere Farben. ms