Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 05.07.1922

4. Sonderkonzert des Oratorienvereins.

Die Aula der Kieler Universität war Montag abend bis auf den letzten Platz besetzt. Mit gutem Grund. Denn Henny Wolff, von ihrem letzten Liederabend noch im besten Andenken, sowie der a-cappella­Chor des Oratorienvereins, diese kleine auserlesene Sängerschar, wollten „Ernste und heitere Volkslieder“ bieten. Und in der Tat — es war ein feines Singen, ein schönes Klingen, dazu ein bestes Gelingen.

Professor Stein hat sich als Meister der Kleinarbeit gezeigt. Die lieben deutschen Volkslieder klangen so herzig, jene unsagbar köst­lichen Weisen, in denen sich die deutsche Volksseele, das deutsche Gemüt am reinsten und schönsten ausspricht. Wie ergreifend klangen nicht Heimatsehnsucht und Liebesschmerz aus diesem innigen wohl­gepflegten Singen heraus, wie frisch und fröhlich die Liebesfreude, wie neckisch und tröstlich die sichere Aussicht auf den „Anderen“. Es gab wahre Kabinettstückchen im Vortrag, so „Das Schwefelhölzle“, das wiederholt werden mußte, und vor allem „Der ängstliche Lieb­haber“. Kleine Wünsche bleiben für einen idealen Vortrag hin und wieder immer noch übrig. So kann das Zungen-r bei der gebrochenen Treu' und dem zerbrochenen Mühlrad gewiß noch schärfer geprägt sein, erzählende einleitende Sätze wie „Sie sprach unerschrocken“ oder „Er gaffet hin und wieder“ in dem Liede „Die Verschmitzte“ brauchten dagegen weniger hervorzutreten. Bleibt aber immer eine Gesamtleistung von hoher künstlerischer Wirkung.

Henny Wolff wußte wieder alles zu entzücken. Sie sang aber auch mit vielem Klang, mit vielem Wohllaut im Gesang — sie sang mit ganzer Seele. M—s.

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