Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 21.10.1921

Verein der Musikfreunde.

1. Volkssymphoniekonzert in der Nikolaikirche.

Wenn Mittwoch abend, vielleicht zum ersten Male seit Bestehen der Nikolaikirche, die Klänge einer Symphonie die weiten Räume füll­ten, so wurde das Herz auch hierbei feierlich und andächtig gestimmt, denn es war Bruckners „Neunte Symphonie“. Hier redet ein großer Meister mit seinem Gott, und da der Todestag des einsa­men, viel verkannten Mannes jetzt sich zum 25. Male jährt, so war es nur eine Pflicht der Dankbarkeit, wenn sein letztes, am tiefsten angelegtes Werk, das er in Gedanken an Gott und Ewigkeit schrieb, erklang, zumal in einer Kirche.

Sowohl Professor Stein wie das durch Hamburger Künstler verstärkte städtische Orchester waren mit Liebe, ja mit Begeisterung bei der Sache. Die Töne wurden hier voller und klarer zum Hörer hinabgetragen wie bei der Erstaufführung im Stadttheater, und so kam es zu einer durchweg prächtigen Aufführung. Das gilt namentlich von der Wiedergabe des ersten Satzes. Hier traf der Dirigent das richtige Zeitmaß, und so kam diese wunderbare „Schilderung der Welt als Spiegel göttlicher Allmacht“ mit ihrer kaum meßbaren Fülle von immer neuen Eindrücken zu eindringlichster Wirkung. Nicht minder gelang der zweite Satz, der „frei vom Geist der Schwere“ singt und klingt von einem Märchenland, von allem Lieblichen, Heiteren, Freundlichen, was diese Erde bietet. Im dritten Teil ist alles abgeklärte Ruhe; es klingt wie ein letztes Gebet, die letzte Beichte, die der greise Meister seinem Gott dar­bringt. Ein wahrhaft feierlicher Ausklang.

Der 100. Psalm Max Regers strotzt von Schwierigkeiten aller Art. Der verstärkte Oratorienverein hatte ihn uns schon zur Herbstwoche im Theater gesungen. Die Wiederholung gestern geschah vom gegebenen Platze aus. Im allgemeinen wieder eine Aufführung, die packte, denn es war innerliche Beteiligung zu spüren. Einiges freilich war weniger gelungen, so das „Erkennet, daß der Herr Gott ist“. Abgesehen von einigen Tonschwankungen kam wieder kein rechtes Pianissimo heraus. Die Stelle „er hat uns gemacht“ vor dem Ruhezeichen auf „Volke“ klang geradezu wie Forte statt des vorge­schriebenen Pianissimo. Bei der an sich lobenswerten Begeisterung vermißte man zuweilen die wirkungsvollen, allmählichen, dyna­mischen Steigerungen. Anderes wieder, sagen wir ruhig das meiste, klang prächtig. So der machtvolle Eingangschor „Jauchzet dem Herrn“, das weihevolle „Dienet dem Herren“ und das feierliche „Gehet zu seinen Toren ein.“ Nicht zum wenigsten erreichte diese Stelle ihre tiefe Wirkung durch das volle, weiche Pianissimo im Vortrag. Der Schluß muß nicht gerade wie die Posaunen des jüngsten Gerichts daherbrausen, um zu wirken. Alles in allem aber war die Aufführung eine achtunggebietende Leistung, die nur unter großer Mühe und mit vielem Fleiß seitens des trefflichen Dirigenten und des großen, in seinen einzelnen Stimmen gut abgewogenen Chores zustande kommen kann. Das Werk in dieser Wiedergabe hat jeden empfäng­lichen Hörer sicher erhoben. — Das Orchester musizierte ausge­zeichnet; Dr. Oppel war wie immer der gewandte, feinfühlende Organist. Martens.

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