Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 19.12.1920

Beethovenfeiern in Kiel.

Die Kieler Beethoven-Festtage haben ihre Krönung erhalten durch das gestrige 3. Symphonie-Konzert des Vereins der Musikfreunde, das sich einer festlichen Stimmung erfreute. Große Mittel waren aufgebo­ten, um der beiden Beethovenschen Großtaten, der „Chorfantasie“ und der „Missa solemnis“ würdig sich zu erweisen und ihnen nach Kräften gerecht zu werden. Der Festchor erwies sich als solcher, festlich bereit zu gutem Klingen. Das Städtische Orchester musizierte hingebend, die Solisten gaben mit ihrem Können einen guten Einschlag. Freudigkeit lag über dem Ganzen, dem Herr Profes­sor Stein ein treuer Führer war. Ihn lohnt am besten das erfreuliche Gelingen dieser Beethovenstunde.

Soll man bei Einzelheiten, die hintan blieben, verweilen? Wer hätte Lust an Beckmessergeist? Die vier Solostimmen zeigten Kultur, Frau Helling-Rosenthals ruhig gesungener Sopran, Frl. Adams breit fließender Alt, Herrn Bauers geschmeidiger Tenor und Herrn Dr. Rosenthals (manchmal klanggetrübter) intellektueller Baß. Herr Pianist Glas spielte den Klavierpart der „Fantasie“ in kühner Darstellung, ernst und groß, wie es ziemlich. Frau Denker und Herr Laukien, begabte Stimmen, fügten sich dem Solobild.

Die Fantasie für Pianoforte, Solostimmen, Chor und Orchester gab den Einklang des Festabends. Man freute sich der Töne, hinter denen man die Freude aber spürte. „Freude“ war auch der Ausklang des Abends, die sich in reichem Beifall entlud.

Der „Fantasie“ folgte die Missa solemnis. Je öfter man das gewal­tige Werk hört, um so mehr beschäftigt es die Gedanken. Im Vergleich — wenn man überhaupt vergleichen soll: denn es kommt eigentlich nichts Rechtes dabei heraus, daß sie eben „Ding an sich“ sind — im Vergleich zu Bachs „Hoher Messe“ hat Beethovens Missa solemnis wenig Transzendentales, das doch im Grunde zur religiösen Musik gehört. Beethoven ist auch in seiner Messe ganz Leidenschaft. Wohl klingt hier und da ein spezifisch kirchlicher Ton auf, aber jene sel'gen Lösungen eines gottergebenen Bach-Herzens werden nicht gefun­den. Das Kyrie eleison, Herr erbarme dich unser! klingt nicht als Auf­schrei der Verzweiflung; das Miserere stammt aus einem zerrissenen Herzen. Im „Credo“ ist wahrhaft der Glaube zu spüren. Das Kruzifixus und das Resurrexit klingen wieder „diesseits“. Das Benedictus und das Agnus dei zeigen religiöse Ergriffenheit und die Stimmung gibt Beethoven seinem Werk im „Dona nobis pacem“. Hier in der Bitte um Frieden — er ersehnt voll Inbrunst den inneren und äußeren — wird des Meisters tiefe, tiefste Sehnsucht offenbar, so erschütternd, so sehr die Seele des Zuhörers ergreifend, daß alles hinübergleitet in diesen Strom der Klänge. Erschütternd diese Rufe nach Frieden, die durch alle Stimmen tönen, dieses ängstliche Rezitativ, das um Mitleid sieht, um das Gnadenantlitz der Gottheit. S—g.

 

Kieler Neueste Nachrichten, 19.12.1920

Das 2. Volks-Symphoniekonzert des Vereins der Musikfreunde bescherte eine Wiederholung der Beethoven-Feier. Der Saal des Gewerkschaftshauses war bis auf den letzten Winkel von Zuhörern gefüllt, Viele begehrten vergeblich Einlaß. Beethoven ist der Magnet, der alle anzieht, und zu einer guten Feier der Geister wurde wieder, was Beethovens Geist geschaffen. Die Chorfantasie und die Missa solemnis waren wieder die Gaben des Abends mit den gleichen Kräf­ten unter der Leitung von Professor Stein. Die Aufführung bot ein Bild sicherer Beherrschung des Stoffs und hingebender Freude am Musikalischen. Das Rosenthal-Quartett, die Helfer, Herr Glas am Klavier, der Festchor und das Städtische Orchester stellten ihr bewähr­tes Können wieder in den Dienst der schönen Aufgabe. Vermutlich düfte eine fernere Wiederholung noch einmal einen gefüllten Saal bringen, den Beethovens Klänge durchziehen. S—g.

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