Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 28.11.1922

Das Totensonntag-Konzert des Kieler Oratorienvereins hatte eine zahlreiche Hörerschaft in die altehrwürdige St. Nikolaikirche gezogen. Die abwechslungsreiche Vortragsfolge, die außer Franz Liszt und Felix Mendelssohn vorwiegend ältere Meister berücksichtigte, gab in mannigfachen Wandlungen den ernsten und tröstenden Gedanken Ausdruck, die am Totensonntag Herz und Gemüt bewegen. Als Verkünder solcher Gedanken stand im Mittelpunkt dieser schönen musikalischen Feier der A-cappella-Chor des Oratorienvereins unter Professor Steins feiner künstlerischer Leitung. Wenn die ausgezeichnet geschulte hier in Rede stehende Sängerschaft bei anderer Gelegenheit auch schon noch Vollkommeneres dargeboten hat, als dieses Mal — das Verhältnis der einzelnen Stimmen zuein­ander war schon ausgeglichener — so wurde immerhin Vortreffliches geleistet, ja in „Es ist ein Schnitter“ in der Bearbeitung von Sigmd. von Hausegger und „In stiller Nacht“ von Brahms nahezu der erwähnte frühere Hochstand erreicht. Gesangssolistisch betätigte sich erfolgreich Adolf Martini. Er kommt von der Bühne. Daß er dennoch den auf eine ganz andere Grundlage gestellten Forderungen kirchlicher Sangeskunst in erfreulichem Grade gerecht ward, zeugt von guter gesanglich-musikalischer Kultur. An der Orgel saß Oskar Deffner. Er erwies sich nicht nur als tüchtiger Tech­niker, der in sauberer Durcharbeitung sowohl des führenden Themas in seinen verschiedenen Lagen, wie der begleitenden und umranken­den Kontrapunkte den Spielmechanismus beherrscht, sondern auch als guter Musiker, der bestrebt ist, plastisch zu gestalten. Gelegentlich der Wiedergabe der großartigen Bachschen Passacaglia wäre vielleicht eine einfachere, das heißt weniger wechselvolle Registrie­rung empfehlenswert gewesen. Vor allem hätten die schönen Bässe der herrlichen Nikolaiorgel zeitweise wohl noch wirksamer in die Erscheinung treten können, um den großen Wurf und einheitlichen Aufbau dieses Bachschen Monumentalwerks wirksam zu kennzeichnen. Im übrigen auch dies eine tüchtige Leistung.

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