Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 07.09.1922

Festkonzert im Kieler Stadttheater

„Von deutscher Seele“

Eine romantische Kantate von Hans Pfitzner.

Seele, wie schweifst du, ätherbeschwingt,

das All entlang durch Tiefen und Höh'n!

In deiner Ohnmacht, welche Fülle;

in ewiger Unrast, welch' heilige Stille,

Frei über alles und doch gebunden,

Seele, wo hast du dein Ziel gefunden?

Die Heimat der Blitze heimelt dich an,

zum Wolkensitze stürmst du hinan,

und dann wieder innig,

zärtlich und sinnig,

rankst du mit tausend Fasern und Klammern

dem Efeu gleich um niedere Kammern,

umschwebt voll Wonne dein sanfter Flügel

des Lebens heiter besonnten Hügel —

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„Von deutscher Seele“ kündet Pfitzners Werk und Sinnen und Sinnieren, Träumen und Fabulieren ist ihm eigen. Pfitzner, der Ton­dichter, wendet sich zu Joseph von Eichendorff. Es ist nicht, als umschlösse schon der Name ein Stück deutscher Romantik: in sturmdurchtobter Nacht im tiefen Waldgrunde rauschen die Eichen und in linder Maiennacht schwebt der verlorene Klang der Dorfglocke hin über das Blühen und Duften des Wiesengrundes. Ein Traum ist alles, weltverloren und doch gebunden an holde, milde Wirklichkeit. „Es geht wohl anders, als du meinst —“ beginnt Eichendorff sein Lied, Hans Pfitzner singt es dem Dichter wieder zu, und in eins fließen Wort und Ton.

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Mensch und Natur — Tod als Postillon — Abend, Nacht — Leben und Singen — Ergebung — dann ein Schlußgesang sind die einzelnen Teile des Werkes, die Pfitzner der Eichendorffschen Dichterschatze entnommen hat. Tief erdachtes, tief empfundenes Dichterwort macht er zum Baugrund seines Tönebaus. Was Pfitzner schafft, sind nicht Stimmungsmalereien, sondern Stimmung. Das Ganze ist ein gro­ßes Stimmungsstück, das in seinen Teilen so weit auseinandergeht wie Tag und Nacht, dessen Teile so eng zusammengehören und ineinander überfließen „wie der Abend in die Nacht verrinnt und wiederum des Tages Stunde kündet“. Das Orchester, vier Solostim­men und der Chor sind die Kräfte, die er zu reichem, reichsten Musi­zieren zwingt, und jedes dieser drei Elemente führt er zu eindring­lichster Einzelwirkung und zum klkangseligen Verein.

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Erfüllt uns darum die Sehnsucht nach der blauen Blume der Romantik, um mit der Lupe zählen zu können, wieviele Staubgefäße sie hat? Es ist hier weder der Ort noch kann es die Aufgabe dieser Zeilen sein, das Pfitzner-Werk zu zergliedern, um es zu präparieren, wie man eine Pflanze ins Herbarium legt. Der Stimmungszauber, der über dem Werke ausgebreitet ist, läßt sich mit Worten nicht einfan­gen. Er entschleiert sich nur dem lebendigen Augenblicke des unmit­telbaren Genießens. Aber vor dem beglückten Erinnern tauchen die Schönheiten einer klangerfüllten Stunde wieder auf: die ersten gedankenschweren Klänge, das symphonische Stimmungsstück vom Postillon Tod, die Abendstimmung, der frische Morgenklang und das von grandioser Schönheit erfüllte Nachtbild. Noch klopft der seltsame Rhythmus des Lebens, schwebt der ergebungsvolle Flötengesang vor unserm Ohre, und wie ein Bau von ragenden Säulen und goldenen Zinnen steht vor dem Erinnern der gewaltige Schlußgesang. Dichter­wort gilt von diesem Singen von und aus deutscher Seele: Aus alten Märchenwiklt es hervor mit weißer Hand....

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Hans Pfitzner ist ein Einsamer in der Tonkunst unserer Zeit und war es von je. Dieser Mann von schmächtiger Erscheinung, aus dessen schmalem Gesicht träumerische kluge Augen blicken, dessen Wesen allem abgekehrt ist, was Effekt und Macht heißt, erlebt mit seinem Werke, was er selber vom Werke des Genies glaubt: daß es nicht entsteht nach dem Willen der Welt, sondern darüber hinaus nach inneren Gesetzen, ja manchmal gar gegen den eigenen Willen des Künstlers.

Nachdenkliche Beschaulichkeit steht neben naivem Zugreifen. Ist Pfitzner ein Fechter mit angriffslustigem und scharfen Wort, Ideen, System, künstlerischen Auffassungen Bahn zu schaffen, so geht er als schöpferischer Musiker über manchen eigenen Lehrsatz hinweg. Wo immer wir Pfitzner auf seinem weiten Kunstgebiete begegnen, stets treffen wit ihn als Charakter; grüblerisch oder verzückt, immer ist er Ekstatiker. Von solchem Geiste lebt auch die romantische Kantate „Aus deutscher Seele“.

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Die Aufführung des Werkes wird unter den künstlerischen Leistun­gen der Herbstwoche mit an erster Stelle stehen. Nicht nur ist eine große und schwere Aufgabe gelöst worden, sondern eine künstleri­sche Tat getan. Unter der geistvollen und warmherzigen Leitung von Herrn Professor Stein kam das Werk edel und schön zur Geltung. Es ist nicht einzelnes als besonders gelungen herauszuheben. Vielmehr liegt das Hervorragende dieser Aufführung in der Gleichmäßigkeit, mit der das schöne Einzelne sich zum ungetrübten Ganzen fügte. Diese starke Innerlichkeit und Geschlossenheit der Darstellung ist zu rühmen.

Das städtische Orchester, verstärkt durch Hamburger Musiker, bewältigte alle Schwierigkeiten, wie es nur ein sicher einge­spieltes Orchester vermag. Klangschön spielte das Orchester und sang der Chor. Der Oratorienchor brachte alle Einsätze genau, behandelte pfleglich das Wort, intonierte ohne Schwankungen, brachte wie das Orchester ein klingendes Pianissimo, ein strahlendes Forte. Die Orchestersolissten bewährten sich als Künstler ihres Instruments, Herr Beetz (Klarinette), Herr Kraft (Flöte), Herr Hillinger (Horn), Herr Obst (Harfe). Die Gesangssolisten lösten ihre Aufgabe ebenfalls voll ein. Fräulein Eva Bruhn-Essen ließ ihren Sopran bis zum hohen D hinaufsteigen und schüttete eine Fülle des Klanges aus wie Maria Olszewska-Hamburg, die große Könnerin und Gebieterin des Gesanges. Herr Emil Graf-München bewältigte die Tenorpartie. Die Stimme ist nicht ohne Härte. Das Baßsolo war bei Herrn Dr. Rosenthal-Leipzig sicher aufgehoben.

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Hans Pfitzner hat seine romantische Kantate „Von deutscher Seele“ geschaffen im Geiste seines Palestrina-Helden, den er die Worte sagen läßt:

Nun schmiede mich, den letzten Stein

an einen deiner tausend Ringe,

du Gott, und ich will guter Dinge

und friedvoll sein.

Professor Hans Sonderburg

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